von Elitsa Kirova
Seit mehr als 40 Jahren gibt es eine Musikrichtung, die zugleich eine Subkultur beschreibt: Punk. Die Anfänge des Punk liegen in den 1960ern Jahren, als der sogenannte Proto-Punk in den USA aufkam. Proto-Punk umfasst eine Reihe von Bands, die als Wegbereiter des Punk gelten oder die von frühen Punkbands als großer Einfluss angeführt werden. Die meisten der dem Genre zugerechneten Bands kommen aus dem US-amerikanischen Rock ’n‘ Roll der 1960er- und frühen 1970er-Jahre.
Entwicklung der Punkmusik in den USA und Großbritannien
Mit Mark Westhusen auf den Spuren des halleschen Punk
Punk war nicht aufzuhalten. Selbst die Mauer zwischen Ost und West hielt nicht stand und so kam der Punk auch in der ehemaligen DDR an. Mark Westhusen ist Geschäftsführer des freien Radio Corax in Halle. Dort ist er auch der Sendemacher der Punksendung SUBjektiv. Außerdem hat er zwei Bücher zum Thema Punk in Halle veröffentlicht: „ZONENPUNKPROVINZ – Punk in Halle (Saale) in den 80er Jahren“ und „Von Müllstation zu Größenwahn: Punk in der Halleschen Provinz„, Letzteres gemeinsam mit Bernd Lindner. Mit Mark Westhusen begebe ich mich auf die Spuren des halleschen Punk um die 1980er Jahren.
Welche Bedeutung hatte damals Punk in Halle?
Mark Westhusen: Es kam zu einem Wandel in der Jugendkultur. Bis dahin gab es ja nur ‚Langhaarige‘ oder ‚Heavys‘ und so weiter. Dann wurde es schriller und gewagter, auch provokativer.
Wie haben sich die ersten Bands gegründet?
Westhusen: Es gab Leute, die in ihren Hinterzimmern musiziert haben. In Halle selbst waren sie anfangs tatsächlich gar nicht so punk, sondern eher aus dem künstlerischen Milieu stammend. Sie haben Punk-Elemente genutzt wie beispielsweise Größenwahn.
Die krassen Bands waren eher aus Berlin oder Erfurt. Erst in der zweiten oder dritten Welle kamen Bands auf, über die man wirklich sagen konnte, dass das Punk ist aus heutiger Sicht. In Eisleben zum Beispiel, also im Umland von Halle, gab es die Band Müllstation. Entstanden ist die Band durch das Radiohören. Das heißt, dass sie irgendwo isoliert im Hinterzimmer zusammen Radio gehört haben und dann hat es plötzlich ‚Knall‘ gemacht. Und so haben sie sich als Band gegründet.
Wo fanden die Veranstaltungen statt?
Westhusen: Am Anfang fand gar nichts statt. Erst 1982 passierte etwas. Das Konzert fand in der Ulrichskirche statt. Dort traten keine halleschen Bands auf, sondern Bands aus Berlin und Erfurt. Das nächste Konzert fand im März 1983 in der Christuskirche statt. Dort spielte nur eine Band aus Halle, nämlich Größenwahn. Moritz Götze von Größenwahn hatte alles organisiert. Er hatte alle Bands aus Berlin getroffen und kannte auch die Leute. Außerdem gab es einige aus Halle, die nach Berlin gegangen waren. Zum Beispiel Jana Schlosser, die Sängerin der Band Namenlos. Das war eine ziemlich bekannte Band. Sie kannte also die Szene und somit hatte man die Verbindung nach Berlin, um die Bands nach Halle zu holen. Das war also das erste Punkfestival in Halle.
Galt die Mode damals auch schon als Erkennungsmerkmal?
Westhusen: Eindeutig, ja. Die Haarschnitte, die Lederjacken, die damals schon relativ verbreitet waren, sprachen schon dafür. Damals gab es allerdings nicht so viele bunte Haare, da der Markt noch nicht so weit war. Also bastelte man sich das Meiste selbst. Dennoch war es deutlich erkennbar. Man sieht auch anhand der Fotos vom Anfang der 1980er Jahre, dass sich bestimmte Modeklischees durchgesetzt haben.
Wie reagierte die DDR auf die neue Jugendkultur?
Westhusen: Die Regierung hat das Ganze von Anfang an beobachtet und mitbekommen, dass etwas Neues heranwächst. So hat man von Anfang an versucht, in den entsprechenden Kreisen Spitzel zu haben. Aber dadurch, dass es in der offenen Arbeit in der Kirche bereits Spitzel gab, ist das kein neues Phänomen gewesen. Die Stasi hat, glaube ich, gegen Ende der 1960er festgestellt, dass das Gefährlichste, was ihnen passieren konnte, Jugendliche waren.
Und dass die Jugendlichen auch noch so extrem ausgesehen und auf bestimmte Sachen geschissen haben, ist relativ schnell aufgefallen. Ich habe dazu in den Stasi-Unterlagen geforscht und habe die ersten Belege über gezielt in Punkkreisen eingeschleuste Spitzel aus dem Jahr 1982 gefunden. Im Jahr 1984 hat Erich Mielke, der Chef der Stasi in Berlin den Befehl gegeben, dass man das Gesocks von Linken, Grünen und Punks beobachten solle, Material sammeln solle und wenn man genug habe, so solle man die Samthandschuhe ausziehen, weil man keinen Grund habe mit diesen Leuten sanft umzugehen.
Im Oktober 1983 gab es das nächste Festival in Halle. Das wollte die Stasi verhindern. Die Leute, die nach Halle reisen wollten, wurden zum Teil aus den Zügen rausgeworfen und zurückgeschickt.
Einige wurden sogar von ihren Arbeitsplätzen abgeholt. Die Kirche wurde umkreist, niemand sollte rein gehen. Die Leute haben sich also teilweise verkleidet, beispielsweise zogen sie Bauarbeiterkleidung an, um überhaupt rein zukommen.
Was ist von der damaligen Punk-Zeit in Halle übrig geblieben?
Westhusen: Müllstation gibt es bis heute noch. Außerdem gibt es noch viele Leute, die in dieser Zeit sozialisiert wurden und die Luft damals geatmet haben, sodass sie bis heute davon geprägt agieren.
Punk in Halle ist auch SUBjektiv, montags um 21 Uhr
Wenn man sich auf die Spuren des halleschen Punk macht, kommt man nicht an SUBjektiv vorbei. Dabei handelt es sich um die Punksendung auf Radio Corax. Wie der Jingle jeden Montag um 21 Uhr verrät, ist es eine Sendung:
„Von Chaoten für Chaoten, für solche, die es waren, oder die, die es werden wollen.“
Jingle SUBjektiv
Am 8. August 2017 wird die Sendung ihren 17. Geburtstag feiern. So lange schon beliefern Mark Westhusen und Michael Nicolai ihre Zuhörer mit guter Musik. Dabei haben sie stets den einen oder anderen interessanten Kommentar zum Stück parat, schnell merkt man, wie gut sich die beiden auskennen. Die Sendung bietet vieles: Demo-Tapes, lustige Unterhaltungen zwischen den Moderatoren, nostalgische Rückblicke, etwas zum Tanzen … Kurz gefasst: Es ist für jeden etwas Subjektives dabei!
Im wahren Leben sind die beiden aber viel mehr als die Moderatoren einer lockeren Punksendung. Mark Westhusen meistert die Geschäftsführung und Michael Nicolai die Projektplanung und -entwicklung bei Radio Corax. Dennoch schafften sie es, Zeit für ein Gespräch über SUBjektiv und Punk zu finden. Und so fanden wir uns mitten im alltagsredaktionellen Trubel in den Räumlichkeiten des freien Radios. Oft hört man im Hintergrund das fleißige Klappern der Computertasten oder Telefonanrufe. Dabei wirken die beiden tatsächlich so, als wären sie gerade On Air. Im gebauten Audiobeitrag können Sie sich selbst davon überzeugen:
Wer die Sendung kennt, wird die Moderatoren, ihren Humor und die Dynamik, die dahinter steckt, sofort erkennen. Diejenigen unter Ihnen, die noch nie Radio Corax montags um 21 Uhr eingeschaltet haben, können das bei Interesse gern nachholen.
Abschließend unterhielten wir uns über die Bands, die am häufigsten auf SUBjektiv erklingen. Die Moderatoren führen nebenbei eine Statistik darüber und so ist die TOP 3 der meist gespielten Bands entstanden:
Von Halle aus nach Magdeburg, Berlin und Wien
Heute ist in Halle einiges vom Punk geblieben. Die ehemals besetzten Häuser Reil 78 und VL Ludwigstraße organisieren regelmäßig Konzerte und auch Festivals. Mitten im Paulusviertel befindet sich außerdem die Punkkneipe Halles Ganz im Gegenteil, kurz GiG. Dort gibt es regelmäßig Punkveranstaltungen. Dennoch habe ich oft das beklemmende Gefühl in einer Provinzstadt zu leben, in der selten etwas passiert. Aber sieht es in größeren Städten anders aus? Wie punk kann eine Stadt überhaupt sein? Und was braucht eine Stadt, um punk zu sein?
Darüber sprach ich mit den Wahlberlinern und Ex-Magdeburgern Fabian Langner und Philipp Arndt und dem Wiener Alex Sator. Langner und Arndt haben in ihrer Jugend in Magdeburg die Band Baretta Love gegründet. Fabian Langner tritt zudem auch solo auf als THE TRUTH. Alex Sator ist Drummer von Needle Exchange und Muscle Barbie.
Was bedeutet Punk für dich?
Die drei wichtigsten Punkbands deiner Meinung nach sind?
Langner: The Stooges, The Ramones, Sex Pistols und The Clash! Ja ich weiß, es sind vier…
Sator: The Ramones, Sex Pistols und The Clash.
Arndt: Man muss sich das wie eine umgedrehte Pyramide vorstellen. Von diesen drei Bands leiten sich alle anderen Stile ab. The Clash: sehr gutes Songwriting, experimentierfreudig, melodisch. The Ramones: schnell, poppig, oft nur 3-4 Akkorde. Sex Pistols: dreckig, reudig, provozierend.
Wodurch unterscheiden sich die Punkszenen in Magdeburg und Berlin?
Langner: Die Punkszene in Magdeburg ist – beziehungsweise war – (zu meiner Zeit) überschaubarer, weil sie natürlich viel kleiner war als die Berliner Szene. Jeder kannte jeden, es gab nur eine Handvoll Orte, an denen man sich traf oder wo man zu Punk Shows gehen konnte. Berlin ist viel größer und anonymer. Es gibt noch mehr Differenzierungen bezüglich der politischen Einstellungen, der Styles und der Musikgeschmäcker.
Arndt: Ich denke es ist grundsätzlich erstmal wichtig, zu unterscheiden, dass es ‚Punks‘ nicht nur als Musiker und Hörer gibt, sondern auch als politisch Aktive. Ich kann hier nur aus musikalischer Sicht sprechen. In Berlin gibt es mehr musikalische Unterkategorien als in Magdeburg. Crust-Punk, Posthardcore oder Power Pop zum Beispiel. Aber bei all diesen Stilen ist es ähnlich wie in Magdeburg: Die Leute hängen oft nur mit Leuten aus der gleichen Szene ab. Es gab die Turbonegro-Clique, die Rockabillys, die Deutschpunker etc. Aber am Tresen in der Bar wird natürlich trotzdem gemeinsam getrunken.
Wodurch unterscheiden sich die Punkszenen in Berlin und Wien?
Sator: In Berlin scheint mir die Szene wesentlich breiter gefächert zu sein. In Wien hat man vorwiegend Crusts und ‚Asselpunks‘, die einem blöd anmachen, weil man arbeiten geht, statt auf der Straße rumzuhängen. Das glauben sie als Punk zu verstehen.
Gerade wenn man auf 77er Punk steht, wird man in Wien selten die richtigen Leute antreffen. In Berlin hingegen gibt es so viele Leute, die 77er Punk, Pop Punk oder auch Rock’n’Roll hören und machen. Außerdem gibt es jede Menge Clubs und Bars, wo man täglich in den Genuss dieser Musik kommt. In Wien finden solche Veranstaltungen meist nur einmal in der Woche statt. Und selbst dann muss man lange danach suchen, während man in Berlin unzählige solcher Angebote findet. Aber das sage ich nur als Besucher. Die Berliner jammern ja selbst und meinen, die gute alte Zeit sei schon längst vorbei.
Was braucht eine Stadt um Punk zu sein?
Langner: Junge Menschen und Menschen, die sich irgendwie nicht dazugehörig fühlen, sich als Außenseiter fühlen und nicht mit den gewohnten Denk- und Handelsmustern der anderen mitgehen möchten.
Sator: Auf jeden Fall genug Locations, wo gute Konzerte stattfinden können. Und natürlich auch Leute, die sich dafür interessieren und darum kümmern, dass die Konzerte auch stattfinden können.
Arndt: Eine Jugend die rebellieren will und verkorkste Eltern. Dazu am besten noch einen Radio Sender wie Radio SAW, bei dem man sich musikalisch so weit bildet, wie ein Schwein scheißt.
Wie punk ist Wien?
Sator: Wien war angeblich mal ziemlich punk. Da war ich jedoch leider noch nicht auf der Welt. Heute wird es immer schlechter. Es lief ja schon vor zehn Jahren schon schlecht, aber da gab’s es wenigstens noch genug coole Orte. Nun schwindet alles allmählich dahin, es gibt weniger Konzerte, und viele der Leuten ziehen weg.
Wie punk ist Berlin?
Langner: In Berlin läuft es aus meiner Sicht auch nicht wesentlich anders als in Magdeburg und wahrscheinlich auch in Halle. Es gibt eben nur von allem mehr: Mehr Menschen, mehr Shows, mehr alternative Wohnprojekte, mehr Demos, mehr Bands…
Arndt: Ich würde sagen, dass Berlin allgemein sehr offen und alternativ ist. Also auf jeden Fall mehr Punk als alles in Magdeburg.
Punk ist laut, frei, frech und verbindet
Hier wird vor allem eins eindeutig: Die Musik verbindet. Punk ist außerdem ein Stück Freiheit, ein musikalischer Aufschrei wider bedrückender gesellschaftlicher Verhältnisse. Damit bietet es Möglichkeiten der Abgrenzung und der Gesellschaftskritik. Mit dem Angebot an Punkveranstaltungen kann man aber auch in den größeren Städten unzufrieden sein. Doch so lange es noch genug Menschen gibt, die Lust haben, selbst Musik zu machen und sich aktiv an der Freizeitgestaltung in der Stadt zu beteiligen, besteht Hoffnung.
Am Ende der Suche steht fest: Freizeitgestaltung mit Punk funktioniert, gleichgültig ob in Magdeburg, Berlin, Wien oder Halle. Konzerte, Tanzveranstaltungen, Lesungen, Radiosendungen: Vieles ist möglich und wartet nur darauf, realisiert zu werden. Auch dem gewohnten Alltag kann man auf verschiedene Weisen entfliehen und einfach nur frei sein: Ob man dabei montags um 21 Uhr die Sendung SUBjektiv einschaltet und eine Stunde lang der Punkmusik lauscht und dazu wie ein kleines Kind durch das Wohnzimmer springt. Ob man durch die Stadt mit lauter Musik auf den Ohren läuft, um den rauschenden Alltag stumm zu schalten. Oder ob man selbst in einer Band laut und frei ist.