von Stefan Michel und Burkhard Schütz
Die Fassade bei Herrn K. (Foto: Privat)

Im Osten von Halle hinter dem Bahnhof zwischen Gewerbegebieten und Brachflächen liegt Freiimfelde. Ein Viertel, in dem 2012 mehr als die Hälfte der Wohnungen leer stehen. Zu dieser Zeit kauft Herr K. dort gemeinsam mit Freunden ein Haus.

„Mein Traum war es, ein eigenes Haus zu besitzen. Häuser in Freiimfelde sind preiswert, aber eigentlich wollte hier niemand hin, der Osten hat einen schlechten Ruf. Vor zwölf Jahren haben sie dir die Häuser für 10.000 Euro hinterhergeworfen, jetzt sind die Summen auch hier bereits stattlicher geworden.“

Herr K.

Herr K. engagiert sich seit einigen Jahren im Verein Freiimfelde e.V. und hat daher einen guten Überblick über den halleschen Wohnungsmarkt. Seinen vollständigen Namen möchte er nicht veröffentlichen. Am Haus von Herrn K. prangt ein großes Wandgemälde, aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal in Freiimfelde.

Eine Initiative tritt auf den Plan

Seit den Anfangstagen 2012 organisiert das Projekt Freiraumgalerie unter anderem die Bemalung von Außenflächen. Im Zuge mehrerer Festivals in den Jahren 2012 bis 2014 haben lokale und internationale Künstlerinnen und Künstler nahezu 70 Fassaden in Halle, vor allem in Freiimfelde, gestaltet.

Fassadengestaltung im Prozess. (Foto: Freiraumgalerie)

Philipp Kienast ist Pressesprecher der Freiraumgalerie. Er selbst sprüht nur ab und an auf Leinwände, die Gestaltung der Außenwände überlässt er lieber den Profis. Ihm gefällt vor allem, an einem spannenden und unabhängigen Stadtentwicklungsprojekt teilhaben zu können. Als Hallenser hatte er zuvor keinen Bezug zu Freiimfelde, doch durch die Aktionen der Freiraumgalerie hat er das Viertel besser kennen gelernt. „Vor allem die Zusammenarbeit mit anderen sozialen und kulturellen Akteuren sowie Bürgern vor Ort bereitet mir Freude“, erklärt Kienast.

Philipp Kienast vor einem Bild der Freiraumgalerie. (Foto: Privat)
Wandmalerei wird durch Wärmedämmung überdeckt. (Foto: Privat)

Der Traum eines lebendigen und bunten Stadtteils bleibt für die Freiraumgalerie eine Zukunftsvision. Bis auf einige bunte Wände und Häusersanierungen ist im Stadtteil zwischen den Bahngleisen und der Freiimfelder Straße allerdings nicht viel passiert. Herr K. bemängelt die Brache und wünscht sich mehr Grün in seinem Viertel. Ein Spielplatz für die Kinder der jungen Familien wäre wünschenswert und auch an die Hundebesitzer appelliert K., die „Würste“ zu entsorgen.

Auch von der Freiraumgalerie spürt Herr K. nicht mehr viel. „Bestimmt ein Drittel von dem, was hier mal angemalt war, ist weg. Die Freiraumgalerie-Zeit ist vorbei, das ist gegessen. Die Häuser sind nun größtenteils verkauft und teilweise werden sie bereits saniert. Da kommen dann keine neuen Bilder drauf, da die neuen Hauseigentümer dem nicht so offen gegenüberstehen. Im Großen und Ganzen tut sich leider nicht so viel. Das ist alles ein ziemlich zähflüssiger Batzen Teer!“, meint Herr K.

Schon jetzt haben sich einige der Wandmalereien durch Wärmedämmung und andere Sanierungen den Blicken der Betrachter entzogen.

Die soziologische Sicht

Heinz Sahner, emeritierter Professor für Soziologie, in seiner neuen Heimat Jever. (Foto: Heinz Sahner)

Heinz Sahner, emeritierter Professor für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sieht Potential in künstlerischen Quartiersprojekten. Besonders in Stadtteilen wie Freiimfelde können Kunstvorhaben den Wohnraum attraktiver gestalten und Zuzüge ankurbeln, sofern die Wohnraumsubstanz und Miet- und Kaufpreise stimmen.

In Stadtteilen wie dem Paulusviertel wäre der Einfluss solcher Kunstprojekte eher marginal, da diese bereits jetzt schon attraktiv für junge Familien, Studierende und Arbeitende ist. Das Stichwort lautet: Urbanität. „Eine Stadt lebt von Urbanität, von Fülle und von ihren Einwohnern“, so Sahner. Wenn eine Stadt urban ist, d.h. die Menschen vor Ort Läden eröffnen, tagsüber einander begegnen und abends gemeinsam ausgehen, steigt ihre Attraktivität. Derartige Angebote einzurichten muss daher das Ziel von Stadtentwicklungspolitik sein, so der Stadtsoziologe.

Mehr Resonanz in Halle

Die Beteiligung der Bürger ist neben der Urbanität ein weiteres Schlüsselmoment. Sie zu erreichen ist allerdings schwierig. Auch Heinz Sahner ist auf Desinteresse gestoßen. Als in Ammendorf der Waggon-Bau vor dem Aus stand, versuchte die Stadtsoziologie mithilfe der Stadt und lokalen Akteuren in Ammendorf ein Forum zu schaffen, um den Waggon-Bau zu retten: erfolglos. Dennoch hält Sahner daran fest, dass Partizipation wichtig ist. „Man muss die Bürger einbeziehen, sonst erntet man Missmut“, so Heinz Sahner. Um die Anwohnenden aus ihren Wohnzimmer zu holen, benötige es Ressourcen, aber vielmehr müsse man ein Leitbild entwickeln und Identifikationsmerkmale schaffen. Erst dann wären die Menschen bereit sich für ihr Umfeld zu engagieren. Auch Herr K. stellt fest, dass in seinem Umfeld in Freiimfelde das Engagement an einigen wenigen Köpfen hängt. „Das Interesse endet meist an der Wohnungstür und für da draußen ist der Staat zuständig. So scheint es mir“, so Herr K.

Heinz Sahner über Urbanität…:

… und die Freiraumgalerie:

Philipp Kienast bestätigt, dass die Resonanz tatsächlich gering ist. „Das musste die Freiraumgalerie gerade am Anfang relativ hart erfahren, dass, wenn man eine vierstellige Anzahl von Flyern in einem Stadtteil verteilt, acht Menschen kommen. Aber das ist überall so“, sagt Philipp Kienast. Vor allem im neu entwickelten Quartierskonzept und der Gestaltung einer 6.000 m² großen Brachfläche im Herzen des Viertels, sieht er allerdings Chancen, die Beteiligung zu erhöhen. Die Freiraumgalerie hat gemeinsam mit der Montag-Stiftung die „Urbane Nachbarschaft Freiimfelde“ initiiert und dafür gesorgt, dass auch die Freiimfelder Freiflächen im Viertel nutzen können.

Philipp Kienast über die Resonanz, das Quartierskonzept, Projekte in Halle-Neustadt und Chancen von Stadtgestaltung:

Die Idee beim Quartierskonzept besteht darin, die Gestaltung des Stadtteils „aus der Bevölkerung heraus“ zu erarbeiten. Hierfür hat die Stadtverwaltung die Freiraumgalerie mit der Moderation beauftragt. „Die Stadt hat einfach bemerkt, dass sich hier in den letzten fünf, sechs Jahren etwas getan hat, unter anderem ist ein Bürgerverein entstanden“, so Philipp Kienast. Davon ausgehend hat das Projekt Freiraumgalerie Bürgerveranstaltungen organisiert, Wünsche gesammelt, Arbeitsbereiche gebildet und Ziele formuliert. Im Anschluss haben Experten der Stadt die Realisierbarkeit geprüft und ein Maßnahmenkatalog erstellt. Daneben haben Treffen mit Eigentümern, Gewerbetreibenden und sozialen Einrichtungen stattgefunden – alle sollten ihre Sicht einbringen. Das fertige Konzept soll nun die Freiraumgalerie dem Stadtrat vorlegen. „Und wenn das beschlossen ist, dann haben aber wirklich die Bürger eigenständig festgelegt, wie die weitere Entwicklung hier in Freiimfelde vonstattengehen soll.“

Dass im Viertel Veränderungen stattfinden, belegen auch verschiedene Zahlen. Vor allem jüngere Menschen sind zugezogen, das Durchschnittsalter (39 Jahre in Freiimfelde) ist im Vergleich zu Halle (45 Jahre) insgesamt in den letzten fünf Jahren um über zwei Jahre gesunken. Auch die Bevölkerungswanderung deutet auf eine neue Zusammensetzung der im Viertel lebenden Schichten hin.

Dennoch erwartet Herr K. nicht viel Veränderung in der kommenden Zeit. Zwar könne man einen leichten Zuzug an neuen Menschen spüren und es gäbe einen guten sozialen Mix aus allen Schichten, doch das geht schleppend voran. Gentrifizierung oder Verdrängung müsse man hier jedenfalls nicht befürchten. Im Gegenteil wäre es wünschenswert, den Zuzug anzukurbeln. Das Viertel könne weiterhin ein guter Startpunkt für Menschen mit geringem Einkommen sein, vorausgesetzt eine Regulierung über die Mietpreisdifferenzierung funktioniert, wie es Heinz Sahner rät. Bisher ziehen eher wenige nach Freiimfelde. Für Sahner wird sich das aber noch einpendeln und er rechnet fest damit, dass Halle mit seinen Stadtvierteln und auch Freiimfelde bunter und multikultureller wird. Das ist eine positive Entwicklung, die die Abwanderung nach der Wende nun endlich auffängt.

Bis dahin ist aber noch einiges zu tun. Demnächst wird erstmal das Quartierskonzept ausgewertet und dann steht fest, wie es weitergehen wird. Platz zum Wohnen ist noch einiger da – auch für alternative Kulturräume, die am besten jetzt und nicht später erschlossen werden. Auch wenn der anfängliche, kreative Schwung in Freiimfelde etwas verloren gegangen ist, unter anderem weil die Freiraumgalerie ihre Arbeit mehr auf konzeptionelle Tätigkeiten ausgerichtet hat und daneben auch in Halle-Neustadt aktiv ist, lohnt es allemal gemeinsam im Viertel aktiv zu werden. Da sind sich alle Beteiligten einig. Denn bunte Wände können mehr sein als nur angemalte Flächen. „Gut leben lässt es sich aber bereits heute im Viertel.“ meint Herr K. „Ich hab’s mir schön gemacht mit meiner Familie und mit meinen Kontakten hier im Haus.“

Die Insignien der Zukunft: Urbane Nachbarschaft. (Foto: Privat)

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