von Juliane Radtke

Schwammbefall, Einsturzgefahr der Decken, Schäden am statischen Gefüge… So lauten die Diagnosen der Denkmalbauten. 3.500 denkmalgeschützte Bauten gibt es laut Angaben der Stadt in Halle. Und noch einmal fast so viele Häuser, deren Fassade denkmalgeschützt ist. Ein Teil dieser Häuser vegetiert verlassen vor sich hin. Oft haben sich Privatpersonen einst der Häuser angenommen und sie später vergessen und sich selbst überlassen.

Die Karte zeigt vier Bauwerke der „Roten Liste“.

Gegen das Vergessen

Die Stadt Halle hat die Häuser nicht vergessen und zu ihrer Wiederbelebung 2011 erstmals die Rote Liste bedrohter Baudenkmale von herausragender kulturgeschichtlicher und städtebaulicher Bedeutung festgesetzt. Im Oktober 2016 wurde sie fortgeschrieben. Aktuell stehen 25 zum Teil vom Einsturz bedrohte Gebäude auf der Liste. Sechs von ihnen wurden saniert und konnten Anfang des Jahres von der Roten Liste gestrichen werden, darunter der Renaissancebau im Graseweg 1, die ehemalige „Handelsbörse“ in der Talamtstraße 9 und das Fachwerkhäuschen mit Türmchen in der Großen Klausstraße 3. Diese Häuser haben ihren Charme zurückerhalten und die Menschen in Halle können neue Geschichten in ihnen beginnen.

Graseweg 1

Das Gebäude im Graseweg 1 zeigt sich seit 2015 wieder saniert. (Fotos: Stadt Halle Saale)

Talamtstraße 9

Bis 2015 wurde das historische Gebäude in der Talamtstraße saniert. (Fotos: Stadt Halle Saale)

 Große Klausstraße 3

Das Haus in der Großen Klausstraße vor und nach der Sanierung. (Fotos: Stadt Halle Saale)

Neu auf der Liste sind neun bedrohte Gebäude wie beispielsweise die Moritzkirche an der Hochstraße in Höhe Glauchaer Platz, daran angrenzend das alte Polizeipräsidium am Hallmarkt oder das ehemalige Schlachthof-Gelände im Osten der Stadt in der Freiimfelder Straße. Doch auch Häuser in der Innenstadt verfallen. Allein aus dem stadtgeschichtlich bedeutsamen Straßenzug Brüderstraße sind vier Gebäude auf der Liste vertreten.

500 Jahre Geschichte entschlafen

Das Renaissance-Fachwerkhaus in der Brüderstraße 7 an der Ecke zur Kleinen Steinstraße steht ebenfalls aufgrund seines maroden Zustands auf der Liste. Es handelt sich um ein dreigeschossiges, spitzgiebeliges Haus. Seine Geschichte beginnt vermutlich im 16. Jahrhundert. Damit zählt es zu den ältesten Fachwerkhäusern in Halle.

In den ersten Jahrhunderten seiner Existenz wechselte es sehr häufig seinen Besitzer, blieb jedoch immer in der Hand wohlhabender, städtischer Amtsträger. Unter anderem hat auch der Jurist Melchior Hoffmann in der Zeit zwischen 1615 und 1660 das Haus bewohnt und dort seine Amtsgeschäfte als Schultheiß im Dienste zweier Magdeburgischer Administratoren ausgeführt. Vermutet wird unter anderem auch die Nutzung als von Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg eingerichtete Administrationsstube.

Im späten 19. Jahrhundert haben die Hallenser die untere Etage des Gebäudes erstmals gastwirtschaftlich genutzt. Als amerikanische Soldaten im Jahr 1945 die Stadt einnahmen, wurde das historische Bauwerk von einer Granate getroffen und teils schwer zerstört. Seitdem blieb der beschädigte Zustand des Hauses unverändert. Seine frühere Schönheit lässt sich nur noch erahnen. Auch wechselten Haus und Gastwirtschaft den Pächter und Namen mehrmals. Zunächst als „Müller Gaststätte“, dann als „Halberstädter Bierstuben“ und bis 2007 letztendlich als „Marktwirtschaft“ galt die Gastwirtschaft als Geheimtipp unter den Kneipen. Die jüngste Vergangenheit dagegen gleicht mehr einem Krimi als einem lustigen Kneipenschwank:

 

 

Leidenschaft für historische Bauten

Wie der Streit um das denkmalgeschützte Gebäude in der Brüderstraße zeigt, versucht man nicht nur auf städtischer Ebene etwas gegen den Verfall dieser steinernen Zeitzeugen zu tun. Seit 1983 setzt sich der Arbeitskreis Innenstadt e.V. (AKI) für den Erhalt historischer Häuser in Halle ein, sowohl durch Öffentlichkeitsarbeit als auch durch eigenständiges Handanlegen. Das beste Beispiel hierfür ist wohl das Vereinshaus in der Schmeerstraße 25, das in den Jahren 1577/78 erbaut und von Vereinsmitgliedern in den Jahren 1983 bis 1994 saniert wurde.

Das Vereinshaus des AKI in der Schmeerstraße 25. (Foto: Emil Löber)

Doch das Vereinshaus des AKI ist nicht das einzige Haus, an dessen Rettung die Ehrenämtler beteiligt waren. So wurden die Mitglieder in den 80er und 90er Jahren bei der Sicherung der Häuser an der Rannischen Straße 9, der Brüderstraße 12 oder der Großen Klausstraße 14 aktiv und haben ihren Teil dazu beigetragen, die Häuser vor dem Verfall zu retten. Mittlerweile sind diese historisch wertvollen Bauten saniert oder es wird daran gearbeitet. Auch wenn heute mehr die Öffentlichkeitsarbeit im Fokus steht, beteiligen sich die 35 Mitglieder des AKI beispielsweise am Erhalt der alten Schwemmebrauerei am Saaleufer, führen Sicherungsmaßnahmen durch und arbeiten am denkmalgerechten Erhalt des Gebäudes.

Mitglieder des AKI sprechen über ihre Vereinsarbeit:

Für die Mitglieder und Förderer des AKI und auch für viele andere Bürgerinnen und Bürger ist es klar: historische und denkmalgeschützte Bauwerke verleihen einem Ort über Jahrhunderte hinweg sein Erscheinungsbild und definieren seine Einzigartigkeit. Sie bilden die Geschichte der Stadt mit all ihren Epochen, Ereignissen und Geschichten ab. An ihnen erkennt man die Historie. Sie prägen die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt und lassen sie Geschichte im Alltäglichen nachspüren. Sie sind stumme Zeitzeugen.

„Eine Stadt lebt davon, dass ihre Geschichte auch sichtbar ist.“
Henryk Löhr

Doch zu viele Menschen gehen einfach an diesen einmaligen Bauwerken vorbei ohne sich ihre Bedeutung bewusst zu machen. Das Erinnern und Festhalten solcher Häuser auf einer „Roten Liste“ ist der erste Schritt zu deren Erhalt. Vereine wie der AKI gehen den zweiten Schritt und setzen sich aktiv für die Rettung geschichtsträchtiger Bauwerke ein. Dank ihrer Arbeit konnten einige Häuser in den letzten Jahren gerettet werden. Doch die Liste der Denkmalleichen in Halle ist lang.

 

 


Quellen: Die verwendeten Daten zur Historie des Hauses in der Brüderstraße 7 stammen aus den „Halleschen Blätter“ vom 28. September 2005, Herausgeber Arbeitskreis Innenstadt Halle e.V., Seiten 2-10″. Zur Darstellung der Situation des Hauses seit 2009 hat die Autorin auf Unterlagen des Arbeitskreises Innenstadt e.V. und Zeitungsberichte zurückgegriffen.

 

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